Wo Zwei Eulen Nisten - Eine Geschichte von den Taipuisa

Geschichten

Als der Große Krieg? vorbei war, der die Welt verheert und die Völker in die Schluchten der Pylae getrieben hatte, und nachdem der Bringer der Blüte, Kukoista‘saada, die Einhundert um sich geschart und Amalay geopfert hatte, um die Kaijukansa in die Taipuisa zu verwandeln, da trennten sich die Wege des Weisen Volkes, auf dass mutige Anführer kleine Gruppen in die neue Wildnis führen und mit ihnen neue Siedlungen errichten sollten.
Sechs Familien brachen gemeinsam auf, Hopea Kúra (Silberreif), Tehti Laulaja (Sternsinger), Vesi Siipi (Wasserschwinge), Tynni Kesi (Ruhighand), Kasvi Luoja (Pflanzenmacher) und Tahtoa Vaihtaja (Willensformer). Die sechs Familien wurden ein Stamm und ihr Ältester, Hen joka kanta surta havat helposti (Der große Wunden mit Leichtigkeit trägt), führte sie an den Ort, an dem zwei Eulen nisten: Jossa Kaxi Pellod Pesa.

Zwischen den endlos hohen Steilwänden einer kaum 40 Schritt breiten Seitenschlucht, an einem Ort, der heute nur 3 Meilen von der Imisén-Siedlung Teras Takoa23 im eluvischen Clansland Hotatoka entfernt ist, schlug der noch namenlose Stamm ein Lager auf. Die Seitenschlucht bot dank ihrer leicht zu verteidigenden Enge und des dichten Gestrüpps einen hervorragenden Schutz gegen die wilden Bestien, die damals die Welt bevölkerten – und von denen viele von den Kaijukansa zu Kriegszwecken geschaffen worden waren. Man konnte ihr 2 Meilen in den Fels folgen, bevor sie immer enger wurde und schließlich abrupt endete. Nur Flechten, Moose und Gräser und einige wenige Büsche wuchsen dort, denn nur in den Mittagsstunden drang wertvolles Sonnenlicht bis hinab auf den Grund. Dort aber, wo der Stamm sein Lager aufgeschlagen hatte, reckten drei Rotfichten ihre Kronen in Richtung Himmel. Und als an jenem ersten Abend die Dunkelheit hereinbrach, fingen über den 30 Taipuisa zwei Sandeulen? an, zu rufen. Hen joka kanta surta havat helposti sprach zu seinem Stamm: „Zwei Vögel, die den Veränderungen des Krieges entkommen sind, haben hier ihr Nest erbaut. Wir wollen dies als Zeichen nehmen, dass dieser Ort unsere neue Heimat sei und fortan Jossa Kaxi Pellod Pesa heiße.“

Aus der Wildnis formte der Stamm eine Heimat. Wilde Bestien vertrieb er aus der Umgebung. Kargen Boden machte er fruchtbar, Wasser lockte er mit Gesang aus dem Fels und armselige Büsche verwandelte er in einen schützenden Wald. In Mammutbäume? setzte er seine Wohnstätten, Schlingbäume? sicherten die Grenzen des Dorfes. Ungenießbare Gräser verwandelte der Stamm in Korn für Brot und bitteren Früchten brachte er bei, die Sonne zu genießen und süß zu schmecken.

Das Leben, dass die Kaijukansa in ihren leuchtenden Hallen geführt hatten, die Edelsteine, mit denen sie sich geschmückt hatten, ihr Wunsch, die ganze Welt und alle Lebendige zu beherrschen und nach ihrem Willen zu formen, es war bedeutungslos geworden. Die Ältesten wussten, wohin diese Verblendung geführt hatte. Die Taipuisa wollten fortan im Einklang mit der Natur leben, sie von den Wunden des Krieges heilen und dem Tod entsagen. Wo die Kaijukansa der Natur ihren Willen aufgezwungen hatten, baten die Taipuisa um ihr Entgegenkommen. Wo die Kaijukansa die Natur verzerrt hatten, gaben die Taipuisa den Tieren und Pflanzen ihre ursprüngliche Gestand wieder.

Zahllose Jahre der Arbeit vergingen. Die Taipuisa von Jossa Kaxi Pellod Pesa erlegten die schlimmsten Monster, verwandelten die Pflanzen und Tiere zurück, die zu retten waren, pflanzten ausdauernde Samen in ausgelaugte Erde, auf dass sie wieder fruchtbar würde. Die Frauen schenkten dem Stamm neue Kinder, die die Gräuel des Krieges nicht selbst miterlebt hatten. Doch obwohl sie nicht alterten und nicht krank wurden, starben die Mitglieder des Stammes im Kampf, bei Unfällen oder im täglichen Überlebenskampf mit der Natur, so das von den anfänglich 127 Taipuisa der sechs Familien heute nur noch 42 übrig sind.

Die Ankunft der Imisén

Zu der Zeit, als Kavelé súrin askelin den Stamm führte, also vor etwa 2400 Jahren, begegneten die Taipuisa von Jossa Kaxi Pellod Pesa zum ersten Mal seit dem Krieg anderen Wesen, die wie sie auf zwei Beinen liefen und einer Sprache mächtig waren. Vor dem Krieg hatte es nur Kaijukansa, Xuktcha und Cetosi gegeben. Während des Krieges hatten die Kaijukansa die Arrodo geschaffen und am Ende die Xuktcha ausgelöscht. Die Neuankömmlinge, die sich selbst Imisén? nannten, waren kräftig gebaute Wilde, zwei oder gar drei Köpfe größer als die Taipuisa und von aufbrausendem Temperament. Ihre Sprache bestand aus krächzenden Lauten, sie verhüllten ihre leiber mit Kleidung aus grober Wolle und Leder vor dem nährenden Licht der Sonne und ihre Waffen und Werkzeuge waren aus Bronze.

Die Taipuisa hingegen ließen auf ihrer Haut schützende Rinde und hübsche Blüten wachsen und kleideten sich nur aus Freude an der Bewegung und hübschen Farben in leichte, bunt gefärbte Tücher. Wenngleich sie dank ihrer Magie keinen großen Bedarf mehr für solche Dinge hatten, kannten sie die Geheimnisse von Stahl und Kaltsilber. Obwohl die Imisén laut waren und fürchterlich rochen, sahen die pflanzenähnlichen Taipuisa doch Intelligenz und Neugier in ihren Augen schimmern und Güte und Mitgefühl in ihren Taten. Daher gestattete Kavelé súrin askelin Ihnen, in vier Wegstunden Entfernung eine eigene Siedlung zu gründen, Felder zu bestellen, und von den Taipuisa zu lernen. Im Gegenzug schworen die Imisén, die Natur zu achten und den Frieden zu wahren.

Doch die Imisén waren viel schnelllebiger als die Taipuisa. Generation folgte auf Generation, und fast jede musste vom grünen Volk an die alten Vereinbarungen erinnert werden. Mehrmals in jedem Jahrhundert kam es zu Streitereien und als schließlich ein Mitglied des Stammes durch den trunkenen Zorn eines Imisén getötet wurde, vertrieb der Stamm seine neuen Nachbarn und verbarg Jossa Kaxi Pellod Pesa vor den neugierigen jungen Augen der Welt.

Heute steht am Ort der ursprünglichen Imisén-Siedlung das Dorf Teras Takoa23, in dem das Imisén-Volk von der Rasse der Oljipuni lebt. Sie gehören zum Clan Hotatoka, das heißt Schimmerfalke, aber im Gegensatz zu den Leuten, auf deren Ruinen sie wohnen, wissen sie nichts von einer Taipuisa-Siedlung in Ihrer Nähe.

Das Leben und der Alltag

Heutzutage bevölkern vor allem Imisén und Arrodo die Pylae und die Monster aus alter Zeit sind weitgehend in dunklen Nischen vertrieben worden. Immer noch ziehen vereinzelt Taipuisa in die Welt hinaus, um Ungleichgewichte in der Magie oder in der Natur zu heilen. Die meisten Mitglieder des Stammes Jossa Kaxi Pellod Pesa genießen jedoch die friedliche Ruhe innerhalb ihres geschützten Dorfes. Sie kümmern sich um ihre kleinen Äcker, gehen in der Umgebung des Dorfes auf Jagd, stellen in wochenlanger Arbeit Alltagsgegenstände von allergrößter Kunstfertigkeit her, züchten Bienen und widmen sich den schönen Künsten.

Ihre Kultur, das Tairauha, rühmt die, welche eine Kunst oder ein Handwerk bis zur höchsten Perfektion erlernen und sich dann etwas anderem zuwenden, um ihr Meisterwerk, das sie nicht mehr übertreffen können, nicht mit unwürdigen Machwerken abzuwerten. Die Frau, die heute als begnadete Töpferin gilt, galt vor 300 Jahren als die beste Silberschmiedin des Stammes. Heute weiß sie kaum mehr etwas über ihre alte Kunst, die sie vergessen hat, weil sie sie nicht mehr interessiert.

Um den anderen Stammesmitgliedern all dies zu ermöglichen, dienen drei Taipuisa dem Stamm als Lebenswächter, als Hengenvahti. Sie schützen die Grenzen des Dorfes vor wilden Tieren und ungebetenen Besuchern. In ihrer Aufgabe liegt gleichzeitig eine große Ehre und eine große Bürde, denn nur Hengenvahti geraten jemals in Gefahr, ein anderes denkendes Lebewesen töten zu müssen. Dies aber sieht das Tairauha als große Sünde an.

Drei weitere Taipuisa nehmen den übrigen eine weitere Bürde ab: Die Sadunkertoja? sind die zauberkundigen Skalden und Barden der Taipuisa. Sie sind diejenigen, die die Geschichte des Stammes bewahren und die sich an die große Schande der altvorderen Kaijukansa und an den Großen Krieg erinnern. Sie erinnern sich auch an die furchtbare Magie, welche die Kaijukansa und die Xuktcha damals wirkten, damit das Wissen nicht verloren geht, wie man die Überbleibsel des Großen Krieges beseitigen kann, die immer noch überall auf der Welt verstreut liegen.

Natürlich sind alle Taipuisa magiebegabt und lernen im Verlauf ihres Lebens fast ebenso viele Zauber, wie sie wieder vergessen. Dennoch gehört gerade die Magie, welche die Erde und Pflanzen formt und Tiere beherrscht, zum Alltagsrepertoire jedes Stammesmitglieds. Ihre in zarte Lieder geflochtenen Zaubersprüche ersetzen den Taipuisa oftmals Werkzeuge und ersparen ihnen mühselige Arbeiten. Tatsächlich kann einem Außenstehenden das Leben in einem Taipuisa-Dorf leicht und unbeschwert vorkommen, weil die Taipuisa alles Unnötige aus ihrem Leben verbannt haben. Alles, was sie tun, ist aus ihrer Sicht absolut notwendig, und es wird mit der größten Sorgfalt und wie ein heiliges Ritual vollbracht.

Darum erscheinen Taipuisa oft auch so zögerlich: Sie bedenken ihr Tun, bevor sie handeln und überlegen sich, was ihre Handlungen für Auswirkungen auf die Welt als Ganzes haben werden. Ihre strahlenden Augen erkennen in allem sein eine übergeordnete Struktur, eine Ordnung, die erschüttert wurde und die es nun wieder herzustellen gilt. Diesen Glauben haben sie also mit den Arrodo gemein: Alles und Jeder hat in der Welt einen richtigen Platz, an dem er seine Bestimmung erfüllt. Die Taipuisa vermögen diesem Grundsatz lediglich mehr philosophische Tiefe zu verleihen, während es den kurzlebigen Arrodo als das Wichtigste erscheint, die Dinge zügig an den vermeintlich „richtigen“ Platz zu befördern.

Dies zeigt sich auch in der Art, in der Jossa Kaxi Pellod Pesa angelegt ist: Alle Wege wurden mit Bedacht angelegt und Blumen, Büsche und Bäume entlang der Wege lenken den Blick immer wieder auf ästhetische Arrangements, idyllische Orte und gekonnt in Szene gesetzte Ausblicke. Die natürlich wirkende, aber sehr bewusst strukturierte Ordnung des Dorfes hat auch einen metaphysischen Aspekt: Der gesamte Ort leitet Essenzmagie aus der Umgebung in genau berechnete Bahnen, die die Siedlung vor den Augen der Welt verbergen und gleichzeitig ihren Bewohnern eine stark magische Umgebung zur Verfügung stellt, die ihr von Magie geprägtes Leben vereinfacht und von Tod und Krankheit fernhält. Auf lange Sicht wünschen die Taipuisa die gesamte Welt in einen derart geordneten Zustand zu versetzen, damit sie von ihren Verletzungen genesen kann. Ob sie dieses Ziel noch erreichen können, ist angesichts ihrer geringen Zahl und der großen Zahl der jungen, umtriebigen Völker jedoch fraglich.

Zuletzt geändert am 29.05.2020 12:17 Uhr